Paderborn Eine Stadt wirbt mit Graffiti
Paderborn hat es erkannt, das Potenzial dieser Kunst: die Stadt ist stolz auf ihre Graffiti, schafft internationalen Künstler*innen beste Bedingungen und wirbt sogar mit den Malereien. Die Szene fühlt sich wohl, das Secret City Fassadenfestival ist etabliert und ein Szene-Experte begleitet seit 2018 Graffiti-Touren für das Stadtmarketing. Seit März 2022 führt eine zweite Route durch die City: „Paderborn und seine Graffitis #2“. Der Kulturkenner ist mitgegangen.
Herzgraffiti
Das „Paderborner Herzgraffiti“ gehört zu den meistfotografierten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Bei den Bürger*innen sei es „extrem beliebt“, heißt es. Längst schmückt es auch Souvenirs des Stadtmarketings. Als am Herzgraffiti am Paderufer vor einiger Zeit großflächig der Putz von der Fassade fiel, taten sich Künstler*innen neben Entwerfer Lukas Michalski zusammen und schufen etwa ein Drittel neu. Zu erkennen ist das heute so gut wie nicht mehr.
Paderquellen
Mitten in der Altstadt entspringt die Pader. Aber nicht an einem Ort, das Wasser sprudelt an unzähligen Stellen aus der Erde. Das Paderquellgebiet gehört mit dem Dom und Schloss Neuhaus zu den drei klassischen Sehenswürdigkeiten der Stadt in Ostwestfalen. Seit 2018 wirbt sie auch mit ihren Graffiti und bindet Street Art in ihre Besucherprogramme ein.
Unterführung Heierswall
An der
Unterführung am Paderwall bei den
Paderwiesen führt der Rad- und Fußweg ein
Stück hinunter, fast auf Wasserhöhe.
Die Bilder auf dem Beton, gemalt von Eddytude und Sero Art, führen noch weiter – unter die Wasseroberfläche.
Quallen im Farbenmeer
„Ein sehr anspruchsvolles Graffiti“ nennt Sven
Niemann die Arbeit. Von „Schmierereien“ spricht man in Paderborn nicht. Man
weiß aber, dass die großen Murals, die „Tags“, „Pieces“, „Paste Ups“ und was es
alles in der Street Art gibt, entschlüsselt werden müssen, um verstanden zu
werden.
Der Graffitistern
Beim Entschlüsseln und Verstehen der
Graffiti hilft auch
Sven Niemann. Er kam
vor Jahren über den Hip Hop zur Street Art.
Es sei „eine
freie, offene Kunst“, das begeistert
ihn ebenso wie das große Interesse des
Publikums, seine Führungen laufen sehr gut.
Selbst nimmt der 39-Jährige die Sprühdose
aber nicht in die Hand. Obwohl es Orte
zum Ausprobieren in der Stadt
gibt,
wie hier den Graffitistern. Legal kann
hier jeder üben, der sich beim
Jugendkulturzentrum angemeldet hat.
Die „fertigen“ Wände werden
regelmäßig versteigert.
Lukas Michalski
Wenn eine graue Mauer bunt wird, fällt sie ins Auge. Ob das Haus zu verkaufen sei, wurde er kürzlich gefragt. Dabei hat Lukas Michalski alias KA$H das Lagerhaus an der Westernmauer nur bemalt – eigentlich veredelt. Mit der Arbeit „Ménage à trois“. Sie verweist auf eines der Wahrzeichen Paderborns, das Dreihasenfenster im Dom. Ein (menschlicher) Hase versucht das Häschen zu bekommen. Aber? Es scheint schon vergeben zu sein…
Paderborn 3021
Schräg gegenüber vom Hauptbahnhof empfängt das größte Mural der Stadt die Paderborner*innen und ihre Gäste. Es entstand, wie viele Arbeiten auf der Tour, während des Secret City Fassadenfestivals 2021 von den Künstlern Henning Marten Feil alias Norbert 3000 aus Brilon und Volker Heisener und zeigt Paderborn im Jahr 3021. Heisener wurde für seine Verdienste um die Graffitikunst bereits mit der Kulturnadel Paderborns geehrt. „Man sieht: der Dom steht noch“, kommentiert Sven Niemann das Bild und erklärt, mit welcher Technik Graffitikünstler solch große Wände heute gestalten. Spraydosen reichen dafür nicht mehr aus.
Sprayerin Lackschnute
Die Sprayer-Szene ist hauptsächlich männlich. Zu den
wenigen Ausnahmen zählt die Paderborner Künstlerin Lackschnute. Sie brachte
beim jüngsten Fassadenfestival Wildnis auf die Brachfläche zwischen
Hauptbahnhof und Riemekeviertel. Die Natur hat die Erde fest im Griff
–
oder will der Tiger sie bloß vor dem Menschen schützen?
Sprayergruppe MDTK
Wer sie verstehen will, muss Graffitis
entschlüsseln können, gerade die bekannteste Art, das Style Writing.
„Entscheidend für so eine Arbeit ist die Wahl der Buchstaben“, sagt Sven
Niemann. „Es geht darum, sie schön zu malen, sie möglichst künstlerisch auszuführen.“ Niemann stellt dabei die künstlerischen Kniffe vor, etwa die Highlights und
Outlines, und liest den Urheber, die Sprayergruppe „MDTK“.
Kibe & Bird
Die Dortmunder Künstler Kibe & Bird haben diese Fassade im Riemekeviertel bemalt. Wie sie dabei vorgegangen sind, von der Vorstellung vom Werk, dem ersten Strich bis zum letzten Sprühstoß, erklärt Sven Niemann. Der Germanist promoviert gerade über Graffiti an der Universität Paderborn.
Norbert 3000
Wenn aus unscheinbaren Hausecken Kunstorte werden, könnten Graffiti im Spiel sein. Norbert 3000 hat sich von Hergés Tim-und-Struppi-Geschichte „Schritte auf dem Mond“ inspirieren lassen (und die Herausforderung des Fallrohrs erfolgreich gemeistert). Es gibt aber bei der Rakete an der Riemekestraße einen entscheidenden Unterschied zum Vorbild…
Sokar Uno
Sokar Uno aus Berlin gehört zu den international gefragten Graffiti-Künstlern mit großen Wänden unter anderem in New York, London und Amsterdam. In Paderborn hat er beim Secret City Festival 2021 „Batsilly – Der stille Begleiter“ hinterlassen. Sprühdosen hat er dabei nicht benutzt, sondern zu Pinsel und Rolle gegriffen. Dass heute auch Streamingdienste zahlungskräftige Auftraggeber von Street Art Künstlern sind, und wie das auf die Szene wirkt, darüber ist auf dem Rundgang mehr zu erfahren.
Philipp Uthmann
Das Wohnviertel Asseburgstraße in Paderborn
steht nach dem Abzug der britischen Streitkräfte
seit einiger Zeit leer.
Verlassen wirkt das Viertel
aber nicht. Mitverantwortlich dafür sind die
farbkräftigen Arbeiten der Graffitikünstler*innen.
Hier hat der Lippstädter Philipp
Uthmann
eine digitale Arbeit vom Künstlerkollegen
Inside a Ginger auf die
Fassade gebracht.
Visio Bob
Was macht ein Sprayer oder eine Sprayerin, wenn die Wand zu groß ist für das Vorhaben? Tourguide Sven Niemann weiß die Antwort und
erklärt die Arbeit von Visio Bob aus Münster, der sich die Wand an der Asseburgstraße einteilte.
Edwin Bormann
Beim Serienhelden
Sheldon Cooper
endet die zweistündige Graffiti-Tour.
Der Paderborner Edwin
Bormann
hat ihn auf die Fassade gebracht.
Natürlich hat Sven Niemann auch
hierzu eine Insider-Info und
lüftet das Geheimnis der gut
gebräunten
Gesichtsfarbe des
Big-Bang-Theory-Charakters:
es ist das Kennzeichen von
Bormann,
Kaffeereste wiederzuverwenden.
Das Kleingedruckte
Für das „Secret City Fassadenfestival 2022“, das vom 6. bis 22. August stattfindet, warten schon 18 Fassaden auf ihre Bemalung. Beworben haben sich dafür insgesamt 90 internationale, nationale und regionale Künstler. Vielleicht gibt es danach die dritte Graffiti-Führung in Paderborn.
Die Stadttouren „Paderborn und seine Graffiti #1“ und „#2“ sind bei
der Tourist Information Paderborn als individuelle oder öffentliche Tour buchbar. Sven Niemann hat auch die „Digitale Graffiti-Tour“ entwickelt.
Mit der App Actionbound können Interessierte ohne Begleitung aufbrechen. Bald soll auch
Tour #2 digital vorliegen.
Das Kleingedruckte
Eine Produktion von Tourismus NRW/März 2022 für Kulturkenner.de
Konzept & Texte: Jens Nieweg, Maximilian Hulisz
Fotos & Audio: Jens Nieweg