PACT Zollverein Vom Körper her denken Ein Haus mit Geschichte und für die Gegenwartskunst, ein Zentrum für Bewegung und den künstlerischen Austausch
Noch ist es ruhig, am Morgen. Auf dem Weg durch den langen, breiten Flur erzählen nur die Plakate an der erhaltenen Ziegelwand vom tänzerischen Treiben. Aber der Schein trügt. Hinter den dicken Türen wird gedacht, geprobt, gelacht, recherchiert, ausprobiert, verworfen und neu gedacht. Aus einem Türschlitz quillt Nebel. Oben im Atelier hängt ein Papier, groß wie ein Teppich, vom Tisch bis weit über den Boden, beschrieben mit Ideen und Stichwörtern.
Das Künstlerduo HartmannMüller bei den Proben zu "Eden"
Konzentriertes Arbeiten, (Denk)Raumeroberungen allerorten.
Das passt gut zur Geschichte von PACT Zollverein. Denn die begann mit einer Hausbesetzung. Anfang der 1990er Jahre entdeckten freie Choreograf*innen aus dem Ruhrgebiet den Möglichkeitsraum der heruntergekommenen Waschkaue der Zeche Zollverein. 1986 war hier die letzte Schicht gefahren worden. Nach der Stilllegung begann auf Zollverein der Umbau des Areals zu einem Design-und Kulturquartier. Von 1999 bis 2000 wurde die Waschkaue zum Choreografischen Zentrum NRW umgebaut und das Haus mit der notwendigen Technik ausgestattet. Am Ende stand 2002 der Zusammenschluss mit der Tanzlandschaft Ruhr.
3000 Quadratmeter Fläche für die Kunst. 3000 Quadratmeter, auf denen sich früher die Bergarbeiter den Kohlenstaub abduschten, und auf denen heute praktisch und theoretisch Bewegungen im Tanz und in der Gesellschaft befragt werden.
"Ein Ort des Erkennens und Erprobens"
Stefan Hilterhaus war von Anfang dabei. Der Künstlerische Leiter ist auch Gründungsmitglied von PACT – genauer: Performing Arts Choreografisches Zentrum NRW Tanzlandschaft Ruhr. Der gelernte Bootsbauer hat Tanz und Choreografie studiert, Romanistik und Geschichte. Gearbeitet hat er u.a. als Choreograf für große Filmproduktionen. PACT ist für ihn "ein Ort der Gemeinschaft von unterschiedlichen Stimmen und von unterschiedlichem Wissen... Ein Ort, der offen sein will für Schnittstellen und Transformationen, die wir nicht voraussehen können".
Ein Ort des dauerhaften Lernens
Bewegung wird bei PACT als Forschungsmethode verstanden. Gearbeitet wird an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Praxis und Theorie.
Das Haus funktioniert wie ein Organismus. Die Organe sind die vier programmatischen Säulen: die Künstler*innenresidenzen, die Bühnenperformances, die Plattform-Formate für den künstlerischen Austausch und die Arbeit im Stadtraum. Jede hat ihre eigene Funktion, aber nur durch zusammenwirkende Kommunikation halten sie das System am Laufen.
Das Residenzprogramm
Eingeladen sind Kunstschaffende aus der ganzen Welt, bis zu fünf Gruppen gleichzeitig. Neben einem Aufenthaltsstipendium steht ihnen ein eigenes Studio zur Verfügung, in dem sie Tag und Nacht arbeiten können. Das Künstlerduo HartmannMüller aus Düsseldorf zum Beispiel residiert regelmäßig bei PACT.
Die Resident*innen
Die Themen sind so vielfältig wie die Menschen, die an ihnen arbeiten. Einer von ihnen ist auch Isiaka Mbarushimana, Tänzer und Choreograf aus Ruanda. Er beschäftigt sich mit Fragen zur Menschlichkeit. Feedback vom PACT-Team gibt's in den regelmäßig stattfindenden Showings.
Die Residentinnen Josephine Findeisen, Johanna Findeisen und Verena Brakonier, die gemeinsam zum Thema Klassismus arbeiten.
Auf der Bühne
Vor allem grenzgängerische Arbeiten
prägen das Bühnenprogramm. PACT (ko)produziert zeitgenössische, spartenübergreifende Tanz- und Performancestücke. Auf dem Spielplan stehen Uraufführungen und Gastspiele – wie etwa das mystische Tanzkonzert "Glottis" der Choreografin Flora Détraz –, inszeniert von jungen Künstler*innen ebenso wie von etablierten.
Sechs bis acht Stücke produziert PACT pro Saison. Die Künstler*innen touren damit auch durch die ganze Welt.
Der Raum als Stichwortgeber
Bespielt wurde in der ehemaligen Waschkaue tatsächlich schon alles, nicht nur die Bühnen. Auch die langen Gänge, die Studios oder die Dusche – keiner der Räume gibt eine klare Funktionszuweisung, sie alle bieten Möglichkeiten.
Wie hier 2019 beim Festival "Blue Skies – Bodies in Trouble", bei dem u.a. in einem performativen Workshop hormonaktive Wirkstoffe untersucht wurden.
Oder beim Format "Atelier". Matteo Marziano Graziano, Zoe Goldstein und Yuri Shimaoka zeigten 2019 eine Performance, die sich durch unterschiedliche Räume von PACT bewegte.
In der Stadt
Und die Räume haben sich längst ausgeweitet, aufs Gelände und in den Stadtraum. Im Sommer 2017 eröffnete PACT die WerkStadt, um sich der direkten Nachbarschaft gezielter zu öffnen. Durch die Zusammenarbeit im "Arbeitskreis Kunst und Soziales" und Dank der Förderung im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser konnte eine alte Apotheke zum Begegnungsort umgebaut werden. Heute wird hier geschrieben, genäht, diskutiert, gemeinsam gegessen, gefeiert, es werden Filme geschaut und Fahrräder repariert.
Das Kleingedruckte
Fotografie und Video: Markus J. Feger
Weitere Fotos s. Impressum
Text und Konzept: Sarah Heppekausen
Eine Produktion des K.WEST-Verlag für www.kulturkenner.de