Zu Besuch bei den Proben von Overhead Project zu ihrem Stück "Circular Vertigo" Poesie der Gefahr
Ein Spätersommermorgen in Köln. Natürlich ist die Manege noch leer, denn das "Latibul", das ehemalige "TPZAK" am Rhein in Niehl, ist vor allem auf sie spezialisiert: Kinder. Die sind gerade noch in der Schule oder im Kindergarten unterwegs. Doch gleich nebenan wird schon trainiert.
Auf einer Wiese neben den bunten Zirkuszelten sind zwei Frauen und ein Mann damit beschäftigt, sich aufzuwärmen.
Tim Behren, Mijin Kim und ihre Co-Partnerin Hrista
Panayotova machen sich warm. Sie dehnen ihre
Körper, hangeln sich an den Gliedmaßen des anderen
entlang.
Und trainieren dann das, was schon sehr nach Zirkus aussieht – und dann doch weit davon entfernt ist. Tim Behren balanciert erst Mijin Kim, dann Hrista Panayotova auf seinen Schultern. Was man in dieser kleinen Szene natürlich nicht sieht – für die beiden Frauen ist das hier absolutes Neuland. Denn Tim Behren ist eigentlich ausgebildeter Akrobat. Und die beiden Frauen sind Tänzerinnen.
"Was mich reizt, sind die Gegensätze"
...sagt Mijin Kim, die eigentlich klassischen Tanz an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln studiert
hat. In einem Zirkuszelt hat die gebürtige Koreanerin vor
ihrer Arbeit mit Overhead Project noch nie gearbeitet –
doch gerade das ist das Interessante. Denn zeitgenössischer Tanz und Zirkus unterscheidet einiges. "Ich liebe es, zu improvisieren", sagt Kim.
"Tanz hat eher die Perspektive in den Raum..."
...sagt Tim Behren, während Aristen eher in die Vertikale denken. In den Stücken von Overheadprojektor Projekt prallen diese beiden Sichtweisen aufeinander – und befruchten sich. Die Inszenierungen beziehen den Raum bis hoch in die Kuppel mit ein – und verhandeln zugleich jedes Setting in der Fläche: Wem gehört die Bühne? Und welche Rolle spielt dabei das Publikum?
"An die Höhe musste ich mich erst gewöhnen..."
...sagt Mijin Kim, die hoch über der Erde in der Kuppel schwingt.
Hinzu kommt die ungeheure Masse, die das schwingende Pauschenperd hat. Nicht mal eine Handbreit ist zwischenzeitig noch Platz zwischen ihr und dem Turngerät, das von der Decke baumelt. 100 Kilogramm schwer. Mit seinen abgespreizten Holzbeinen wirkt es fast wie ein drohendes Objekt.
Während der Proben improvisiert Hrista
Panayotova im Bühnenbild. Das schlichte Setting, das Charlotte Ducousso erfunden hat, gibt gleich mehrere Ebenen preis: Die Bühnenbildnerin aus Brüssel hat verspiegelte Stelen unterschiedlicher Höhe aufgestellt, die auf den ersten Blick an Spiegelzeltoptik und Varieté denken lassen.
Um dann tausendfach die unterschiedlichen Seiten dieser Performance hervorkehren.
"Die Spiegel lassen an ein Kaleidoskop denken..."
...sagt die Bühnenbildnerin Charlotte Ducousso über das besondere Setting von "Circular Vertigo". Und an die Anfänge der Fotografie und des Films. Zu den ersten bewegten Aufnahmen zählten damals rennende Pferde – zusammengesetzt aus einzelnen Sequenzen.
Mijin Kim kontrolliert die enorme Masse des Pauschenpferds scheinbar mühelos. Und tatsächlich wirkt es, als würde sie auf ihm reiten.
Ihr Auftritt hat damit auch etwas von einer Selbstermächtigung, von Kontrolle - und Stolz. Das lässt an die lange Geschichte des Zirkus denken, der seit jeher auch ein unkonventioneller Ort war. Eine Art Freiraum nicht zuletzt für Frauen – Artistinnen und Zirkusreiterinnen.
Das Kleingedruckte
Fotografie und Video: Markus J. Feger
Text und Redaktion: Annika Wind
Eine Produktion des K.WEST Verlag für www.kulturkenner.de