Ende 60 und angesagter denn je: Marcel Odenbach
Von Beginn seiner Karriere an verfolgt er Probleme, die gerade heute wieder im Fokus stehen: Rassismus, Kolonialismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus… Jetzt wird der Künstler mit dem renommierten Wolfgang Hahn Preis ausgezeichnet und ist gleichzeitig mit zwei großen Einzelausstellungen in Köln und Düsseldorf zu Gast.
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Suchen, schneiden, kombinieren: Auf dem Tisch in Odenbachs Kölner Atelier steht neben langen Linealen und stummelkurz gespitzten Bleistiften die große gelbe Uhu-Flasche. Als Videopionier groß geworden, treibt der Künstler seine Arbeit mit Papier ebenso produktiv und erfolgreich voran. In beiden Medien sammelt und kombiniert er Bildmaterial - das Prinzip der Collage prägt Odenbachs Kunst.
In Odenbachs großer Einzelausstellung im Düsseldorfer K21 kann man viele seiner Papierarbeiten aus der Nähe betrachten und ermessen, was an ruhiger Bastelei dahintersteckt. Denn die fotorealistischen Motive sind aus unzähligen, bunt eingefärbten Foto- oder Zeitungfetzen zusammengesetzt. Winzige Bilder im Bild, die, zumal in der Kombination, neue Bedeutungsebenen öffnen.
Das Bildnis hat es in sich. Odenbach porträtiert 2015 den jung verstorbenen US-Rapper Tupac Shakur – Idol und Symbol schwarzer Befreiung. In seine großformatige Collage lässt der Künstler dabei allerhand Bildmaterial aus der Zeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der Black Panther Party einfließen. So schlägt Odenbach einen Bogen durch die Geschichte in die Gegenwart zu Black Lives Matter.
Vielschichtige Großformate hat Odenbach auch in den zurückgezogenen Corona-Monaten geschaffen. Ein bisschen Lockdown-Stimmung klingt an in jener kleinen Kammer im schweizerischen Sils Maria, einem Hotspot der europäischen Kulturprominenz zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Odenbachs Collage-Porträt dieses besonderen Ortes steckt voller Geschichten: In den Bodendielen und Vorhängen erscheinen einstige Gäste wie Einstein, Chagall und Dürrenmatt. Die Polster verweisen auf Werke von Otto Dix bis Lucian Freud.
Das Tapetenmuster von Sils Maria
(hier ein Detail) führt in die Gegenwart
- es zitiert die zuletzt allenthalben
kursierenden Bildchen von Corona-Viren.
Vorarbeiten an der Atelierwand: Viren über Viren. Gesammelt, zerschnitten, aufgeklebt, kopiert.
Der Videopionier
Obwohl die Arbeit auf und mit Papier von Anfang an sein Werk begleitet, wird Odenbach bis heute vor allem mit Video in Verbindung gebracht. Während des Architektur-Studiums schon hatte er Erfahrungen mit der Kamera gemacht, die in seinem Fach früh als Dokumentationsmedium genutzt wurde. Odenbach fing Feuer. Und fühlte sich in der aufkommenden Videokunst-Szene wie in einer großen Familie.
Wie bei den Collagen, so kombiniert Odenbach auch in seinen Videoarbeiten oft unterschiedliches Bildmaterial. Die große Überblicksausstellung im K21 zeigt etwa die Doppelprojektion „Tropenkoller“: Archivbilder aus der Zeit des Kolonialismus stehen neben aktuellen Fotos, die das Fortbestehen kolonialer Strukturen im heutigen Togo belegen.
"Ach, wie gut, dass niemand weiß“, heißt die in Düsseldorf gezeigte Installation mit vier großen Screens. Auch hier schöpft der Künstler aus unterschiedlichen Quellen. Archivszenen vom Vietnamkrieg kommen zusammen mit Bildern von Protesten der Bürgerrechtbewegung in den USA und von den Schah-Demos 1967 in Berlin. Dazu springen zwei Sportler – ein Schwarzer und ein Weißer – unablässig auf und nieder.
Als Träger des wichtigen Wolfgang-Hahn-Preises stellt Odenbach ab November im Museum Ludwig erstmals seine über hundert "Schnittvorlagen" aus. Ideenspeicher und Materialsammlung zugleich sind sie und unerlässlich als Vorarbeit für die großen Collagen.
Auf großen Bögen stellt Odenbach gefundene oder abfotografierte Bilder zusammen. Kopiert, mit Tinte eingefärbt und zerschnitten, werden sie in den Collagen weiterverarbeitet. Für ihn sei es wie eine Farbpalette, so der Künstler.
Im Rahmen des Hahn-Preises wurden die "Schnittvorlagen" für das Museum Ludwig erworben. 100.000 Euro bekommt Odenbach für die bisherigen Collagen und alle, die er noch zusammenkleben wird. Der Deal falle ihm nicht leicht, gesteht der Künstler. Immerhin seien es die Herzstücke seines Schaffens.
Nach der Ehrung und all den Ausstellungen 2021 plant Odenbach erst einmal eine längere Pause – auf dem Lande in der italienischen Maremma, wo er sich ein Haus gekauft hat. Danach geht der Rummel dann wohl weiter.
Das Kleingedruckte
Eine Produktion von http://kulturkenner.de/ November 2021
Konzept & Texte: Stefanie Stadel
Fotos: Kunstsammlung NRW, Düsseldorf; Museum Ludwig, Köln; Stefanie Stadel