Klettern zwischen Hochöfen Industriekultur extrem Kulturgenuss geht in Nordrhein-Westfalen nicht nur mit Ruhepuls.
Zu den aufregendsten Erlebnissen gehört die
„Expedition Stahl“: Wohl nirgendwo im Ruhrgebiet kommen Abenteurer*innen der Industriekultur so nah wie im Hochseilparcours des Landschaftsparks Duisburg-Nord.
Früher Eisen...
Im April 1985 war Schluss: Das Hüttenwerk des Thyssen-Konzerns hatte in insgesamt fünf Hochöfen das letzte Roheisen produziert. Die riesigen Anlagen in Duisburg-Meiderich wurden damit völlig nutzlos. Bis die Internationale Bauausstellung Emscher Park die Anlagen wieder zum Leben erweckte. Seit 1994 gibt es hier ein weltweit beachtetes Spielfeld für alle.
...heute Erlebnispark
Nach und nach ist ein großes Erlebnis-Areal entstanden – mit Konzertsaal, Open-Air-Kino, Tauch-Gasometer, Lichtkunst und Restaurant. Detlef Borbe und Thomas Fischer von
der power-ruhrgebiet GmbH mischen hier ebenfalls mit. Die beiden Kletterer haben mit ihrem Hochseilgarten einen festen Platz im Spiel der Denkmalpfleger*innen, Event-Agenturen und Ruhrgebietsexpert*innen.
Die feuerfesten Mäntel sind heute längst verschwunden.
In der ehemaligen Gießhalle geht es aber immer noch heiß her: Der Weg führt über mehrere Hindernis-Ebenen. Sie erinnern an einen Konsolenspiel-Klassiker aus den 80er-Jahren. Der Affe Donkey Kong schmeißt darin Fässer nach der Spielfigur Mario. Dieses Game hatten die Konstrukteure vor Augen, als sie den Abschnitt im Kletterpark anlegten. Der Nachbau passt – glücklicherweise ohne Fässerwurf.
Gemeinsam über Stahlträger balancieren, auf Drahtseilen stehen und Hindernisse überwinden – das verbindet. Kurz vor der „Tube“ wird das nochmal deutlich, als letzte Absprachen für das Klettererlebnis gemeinsam getroffen werden. Wer geht vor, wer bleibt hinten und wie tritt man hier am besten auf die Leiterstufen?
Schweißperlen machen sich auf der Stirn breit. Sie fallen herab wie einst das Gichtgas, das durch die riesige Röhre früher abgeleitet wurde nach unten.
Heute hängen wir an dieser Röhre, fast an der Spitze der Anlage, in mehr als 50 Metern Höhe. Thomas und Detlef haben nicht zu viel versprochen: Anstrengung, Adrenalin und eine atemberaubende Aussicht. Eine schräge Röhre zu erklimmen, ist gar nicht so einfach wie es von unten scheint: Langsam heben sich die Füße. Karabiner einhaken, zwei Schritte, Karabiner nachholen, einhaken. Der Atem stockt. Die nächste Plattform ist nicht mehr weit…
Oben angekommen pumpt das Adrenalin – allerdings nur bei den Neulingen. Hobbykletterer Stephan ist die Ruhe selbst, reflektiert die Tour auf Stahlträgern im gemütlichen Liegesitz. Warum wohl die massiven Stahlgriffe nicht auf der Röhre, sondern seitlich angebracht waren? Sicher sind die schon am Boden an die Röhre geschweißt worden, nicht hier in der Höhe, mutmaßt die Crew. Dass sich hier oben mal Freizeitkletter*innen entlanghangeln würden, haben die Schwerstarbeiter beim Bau des Hochofens 2 im Jahr 1963 wohl nicht geahnt.
Nach einer kurzen Verschnaufpause folgt die Überraschung: Zwei Stahlseile oben, ein Stahlseil unten, dazwischen knapp 1,80 Meter Platz, und darunter: 60 Meter freier Luftraum bis zum Erdboden.
32 Meter Strecke gilt es auf dem Seil zu überwinden. Es verbindet die Spitzen von Hochofen 2 mit Hochofen 1. Gedanken hüpfen durch den Kopf: Uff! Nein! Warum auch? Auf keinen Fall! „Ihr müsst das nicht machen“, so die Guides. Und doch. Alle wollen. Die Karabiner hängen. Die Erfahrung lockt.
Ein breites Grinsen macht die Runde. Redakteur Jens wundert sich, ob er das gerade wirklich mitgemacht hat. Max wirkt noch wie versteinert. Alles scheint unwirklich. Dann kommt die Realität vorbei und holt das Team ab. Eine Frage steht im Raum: Haben sich die früheren Arbeiter auf Ähnliches eingelassen?
Der Blick zurück auf die ehemalige Industrieanlage ist jetzt ein anderer: Die frühere Brache hat ihr Gewand gewechselt. Vor wenigen Jahrzehnten war es unvorstellbar, dass hier Mega-Events wie die RuhrTriennale, die ExtraSchicht und das Traumzeit-Festival stattfinden würden. Und dass Erlebnistouren wie die „Expedition Stahl“ auf den Eisen- und Beton-Giganten möglich sind: ein wirklich extremer Kulturgenuss!
Das Kleingedruckte
Eine Produktion von Tourismus NRW/November 2021
für Kulturkenner.de
Konzept & Texte: Maximilian Hulisz, Jens Nieweg
Fotos & Videos:
Maximilian Hulisz, Jens Nieweg