Für die Hanse waren Entfernungen kein Hindernis. Der Verbund
der handeltreibenden Städte zog sich quer durch Europa. Auf 450 Kilometer davon
führt nun der Hanseradweg auf acht Etappen. Er verläuft zwischen Neuss und Harderwijk
in den Niederlanden. Der Kulturkenner ist auf die Pedale gestiegen, um sich
anzuschauen, welche Edelsteine auf der Hanse-Schnur zwischen Wesel und Emmerich
aufgereiht sind. Los geht’s zu einer unbedingt nachahmenswerten Reise.
Im Bild: Die funktionstüchtige Stadtwindmühle in Kalkar von
1770, errichtet zum Mahlen von Eichenrinde für das Gerben von Leder.
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Die zweite Etappe des
Hanse-Radwegs startet im Zentrum von Wesel, das ist mit dem Regionalexpress schnell
erreicht. So frisch wie der Radler an dieser Stelle wirkt auch das historische
Rathaus mit der spätgotischen Fassade von 1455 am Großen Markt. Kein Wunder,
ist der damalige wie heutige Stolz der „Hansestadt Wesel am Rhein“ doch erst
gut zehn Jahre alt. Im Zweiten Weltkrieg war Wesel fast völlig zerstört worden,
eine Bürgerstiftung sorgte für die Rekonstruktion. Auch der Willibrordi-Dom,
eine der größten evangelischen Kirchen im Rheinland, wurde bis in die 90er Jahre
wiederaufgebaut.
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Im Jahr 1407 schloss sich Wesel der Hanse an und profitierte
enorm von dem Verbund der Handelsstädte. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts verlor
die Hanse ihre Bedeutung, andere Verflechtungen erleichterten den
internationalen Austausch. Heute existiert sie wieder mit knapp 200
Mitgliedsstätten in 16 Ländern Europas. Fast alle (genau 184) sind auf dem
„Hanseband“ über die Weseler Fußgängerzone aufgeführt. Auch der Zielort dieser
Etappe: Emmerich.
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Dem Esel huldigt Wesel überall in der Stadt. Dutzende
Huftiere stehen vor den Geschäften, in Bronze sogar am Café, oder mahnen als
Stickerfigur auf Müllsammlern ein „sauberhaftes Wesel“ an. Den avanciertesten
Platz beansprucht der bunt bemalte Esel am Berliner Tor, dem Rest der ehemaligen
Festung Wesel von 1722.
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Und, das Huftier schon entdeckt? Auch auf diesem Mural in
der Schmidtstraße in Wesel fehlt der Esel nicht. Die Wandbilder wurden im Jahr
2022 vom niederländischen Künsterkollektiv De Strakke Hand in den großen
Städten des Hanse-Radwegs verwirklicht und erinnern an die Blütezeit der
Handelsbeziehungen.
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Nur wenige Hundert Meter vom Innenstadtkern entfernt
verläuft der Rhein. Sinnbildlich für die herausragende Lage der Stadt für
Handelsbeziehungen zeigt sich am Tag dieser Radfahrt auf dem Hanse-Radweg das
Interesse Tausender Weseler an der Promenade und dem Ufer. Grund ist ein 500
Tonnen schweres und 50 Meter langes Gut: das ehemalige Bundeswehr-U-Boot 17
passiert die Stadt auf dem Weg ins Sinsheimer Technikmuseum.
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Der Mars kommt am Niederrhein ganz irdisch daher: Mit
Weiden, Vieh und Wasser. Und ab und zu bringt einen der Bus auch wieder weg.
„Auf dem Mars“, so heißt die Stichstraße tatsächlich, unterhält der
Naturschutzbund ein Infozentrum und einen Nistturm für bekannte Flugobjekte.
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Wie in anderen Dörfern an
der Strecke ist man sich auch in Bislich seiner Traditionen bewusst und erzählt
davon: Hier im Deichdorfmuseum.
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Zurück auf dem Deich und auf dem Radweg schweift der Blick über den
Lenker nach links, gen Südwesten über den Rhein. Hier lag die colonia ulpia
traiana, die vor etwa 2000 Jahren drittgrößte römische Stadt in Deutschland.
Heute in etwa erkennbar durch die Landmarke Xantener Dom.
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Gerade noch auf dem Mars, jetzt schon dem Saturn ganz nah.
Der Reeser Planetenweg informiert am Radweg über die Himmelskörper und macht am Rad-
und Fußweg durch die Entfernung der Bronzen die Dimensionen des Sonnensystems
deutlich. Wer mitmachen möchte, kann die Schritte zählen bis zur Mutter Erde. Oder
aber die Pedaltritte bis zur nächsten Eisdiele in der hübschen Stadt Rees.
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Rees ist eine Stadt voller Skulpturen. Ist sie manchem nur
durch das Pop-Festival im Vorort Haldern ein Begriff, verdient sie doch mehr
Aufmerksamkeit für den Entschluss, fast jede Ecke des beschaulichen Städtchens
mit einer Skulptur zu bereichern. Von März bis Juni 2023 verbringen auch die
„Alltagsmenschen“ der Wittener Künstlerin Christel Lechner ihre Zeit in Rees.
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Verleitet die Rheinpromenade etwa dazu, in die falsche
Richtung zu blicken? Immerhin war Rees (1228 mit Stadtrechten versehen) die erste Stadt in der Region am unteren
Niederrhein. Oft auf- oder besser heimgesucht
von Potentaten: Die Spanier waren da und nahmen Rees ein, die Niederländer
sowieso unter Moritz von Oranien, die Franzosen unter Ludwig XIV., später schwerste
Schäden im Zweiten Weltkrieg.
Der Geschichte kann anhand der Gebäude und
Ausgrabungen gut nachgespürt werden – natürlich beim Blick in die andere
Richtung. Zum Beispiel auf die Skulptur „Freundschaft verbindet“ von Jürgen
Ebert aus Bocholt.
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Links Wiesen, rechts Wiesen, und davor? Natürlich Wiesen. Höchstidyllisch mit einer unvergleichlich zauberhaften
Atmosphäre liegt St. Antonius Abbas in der grünen Landschaft von Hanselaer.
Seit 1170 gibt es hier ein Gotteshaus, die heutige Bauform ist von 1450. Eine
Informationstafel rühmt die spätmittelalterliche Kirchenausstattung sowie ein
Bild von den Versuchungen des heiligen Antonius von 1622. Die Türen aber
bleiben verschlossen, öffnen nur auf Anfrage und für einen Gottesdienst einmal
im Monat. Ein 300 Jahre alter Plan zeigt wenig Bebauung in der karg besiedelten
Bauernschaft von Hanselaer. Geändert hat sich daran seitdem nichts.
Aber im
Spätmittelalter ging es hier nicht erst los. Schon die Römer hinterließen ihre
Spuren, fußläufig entfernt in Altkalkar liegt ihr Burginatium, ein Reiterlager
mit Siedlung, heute Bodendenkmal und Teil des Unesco-Welterbes
Niedergermanischer Limes.
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1540 wurde Kalkar zur hansischen Beistadt unter Wesel
ernannt. Gehandelt wurde vor allem mit Getreide, Bier und Schafsfellen. Fünf
Jahre später kaufte man einen Baum, ein Rechnungsvermerk liegt im Stadtarchiv.
Seitdem steht die Linde auf dem Marktplatz. Unter ihr wurde in den Jahren Recht
gesprochen, Feste gefeiert und Kriege beweint. Auch dem Baum haben Bomben und
Alltag schwer zugesetzt, noch 1972 schien sein Stündchen geschlagen. Doch
Fachleute konnten ihn retten. Knapp 480 Jahre steht die Linde nun vor dem Rathaus.
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Schon 1572 erklärten Kalkar und der Nachbarort Grieth ihren
Austritt aus der Hanse. Ein kleines Stadtmuseum hinter der Tourist-Info erzählt
noch mehr über die interessante Geschichte der am Reißbrett geplanten Stadt mit
viel Aufenthaltsqualität. Eine Rast ist hier in den Cafés rund um das Rathaus
unbedingt angesagt.
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Hoher Turm, wertvolle Sakralkunst, prächtige Ausstattung: Im
Spätmittelalter zur Blütezeit der Hanse konnte sich Kalkar einiges leisten und
zeigte das auch, zum Beispiel beim Bau von St. Nicolai. Dieser Heilige, als
Nikolaus geläufiger, ist der Schutzpatron der Hanse.
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Knapp 70 Kilometer stecken in den Beinen. Von Grieth ging es
über die lange Rheinuferstraße auf der linken Rheinseite einmal an Emmerich
vorbei zur „Golden Gate vom Niederrhein“, der rot-orangefarbenen Brücke, die die
Bundesstraße 220 trägt. Die längste Hängebrücke Deutschlands bietet den Ausblick
auf den Endpunkt der Etappe, die Emmericher Rheinpromenade. Die Grenze zu den
Niederlanden ist hier nur noch fünf Kilometer entfernt.
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Stockfisch, Kaffee und Wein wurden zu Zeiten der Hanse in
Emmerich gehandelt. Immerhin zu letzten beiden würde sich der Autor dieser
Zeilen nun gerne verleiten lassen und noch viel mehr Historie von Emmerich
entdecken, auf die das Mural am Steintor 3 hinweist. Doch der Zug kündigt sich
an für die Rückfahrt nach Wesel – voller Erinnerungen an eine landschaftlich
und kulturell hochinteressante Tour. Nur noch ein letzter Blick von der
Promenade auf die Golden Gate…
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