30 Tage Überleben Eine Reise in die Atomschutzbunker der alten Republik
NATO und Warschauer Pakt stehen sich in den 1950er- und 60er-Jahren feindlich gegenüber. Schauplatz von Atomschlägen würde Deutschland sein, sagen alle Szenarien. In der und rund um die Eifel werden deshalb Schutzbauten errichtet. Kulturkenner hat die “Eifel-Bunker-Tour" begleitet: Mit dem Reisebus und vielen Interessierten geht es zu den "Ausweichsitzen” der Bundes- und Landesregierung sowie der Landeszentralbank (LZB).
Mikrokosmus unter der Erde
Die beklemmende Zeitreise startet. Mitten im
Weinberg, oberhalb von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Hier organisiert der Heimatverein Alt-Ahrweiler e.V. die Touren hinter meterdicke Betonmauern in die riesige
Anlage.
Innerhalb weniger Minuten sollten die damalige Staatsspitze, die wichtigsten
Minister samt Beamtenstab und die anderen Verfassungsorgane aus Bonn hier eintreffen und für maximal 30 Tage
bleiben können. Dafür entstand eine kleine Stadt – ein autarker Mikrokosmos unter der
Erde.
Unerschöpfliches Fachwissen
Jörg Diester stellt die 17,3 Kilometer lange,
fünfgliedrige Anlage vor. Sie erstreckt sich durch den Kuxberg und den
Trotzenberg. Das Thema "Regierungsbunker” ist eigentlich nur sein Hobby. Aber er hat Bücher darüber
geschrieben, sich durch Millionen Akten gewühlt. Sein scheinbar
unerschöpfliches Fachwissen teilt Diester auf den Touren, die er und seine
Mitstreiter*innen des Netzwerks der Bunker-Dokumentationsstätten seit dreizehn
Jahren organisieren.
Bunkertür
25 Tonnen schwer ist das Eingangstor in die
Unterwelt – die erste große Sicherheitsschleuse in dem Tunnel, der einst als Eisenbahntunnel
angelegt war. Ab 1944 mussten Zwangsarbeiter hier Fahrzeuge für das
V2-Raketenprogramm der Nazis umbauen. In den 1950ern entschied sich Adenauer
für den Bunkerbau. Heute gehen Interessierte eingeschüchtert über diese
Schwelle. Sie hätte die Kanzler Erhardt, Kiesinger, Schmidt und Kohl vor einer Kernwaffenexplosion
schützen sollen.
Eine Stadt unter Tage
Während der Blick auf
die Duschen der früheren Dekontaminationsanlage fällt, wird der Reisegruppe klar: Der ehemalige Regierungsbunker war bis ins Detail durchgeplant. Es gab 897 Büro- und Technikräume, 936 Schlafstätten und fünf
Großküchen. Insgesamt 3000 Menschen konnten hier unterkommen. Einmal im Jahr wurde
zwei Wochen lang im NATO-Verbund geprobt – mit echten Beamten in unechten Szenarien.
Kommunikationszentrale
„Im Alltag sollte hier alles grün blinken“, erläutert Diester mit Blick auf die Signalleuchten in der ehemaligen Kommandozentrale. 3000 Schalter sind es an der Zahl. Ein roter riegelt im Notfall alles ab – innerhalb von Sekundenbruchteilen. 188 Menschen waren rund um das Jahr damit beschäftigt, die gesamte Anlage mit Türen, Luftschleusen, Vorräten, Dieselmotoren und, und, und ... voll einsatzbereit zu halten.
Strahlenanzug
Ein Strahlenanzug für alle Fälle: Vor dem Bunker-Eingang hat es eine Explosion
gegeben, die atomare Wolke liegt über dem Berg, und der Funkturm
oben im Wald ist beschädigt. In einem solchen Fall hätte es eine Person geben müssen, die sich
vor den Bunker wagt, um den Turm zu reparieren.
Die Ausrüstung für solche Notfälle wirkt beängstigend. Doch gibt es in der über acht Meter breiten Tunnelröhre auch Alltägliches zu besichtigen: Ein Fernsehstudio, Krankenstationen und sogar ein
Frisiersalon.
Tunnellabyrinth
Auf den mehr als 17 Kilometer langen Wegen im Tunnellabyrinth war man zu Fuß unterwegs. Doch standen für die Beamten*innen im Bunker auch verschiedene Fahrzeuge bereit. Für niedere Dienstgrade gab es 400 Fahrräder. Minister und Staatssekretäre stiegen in einen von 22 Elektro-Zugkarren um. Drei davon sind mit ihren Waggons heute noch im Einsatz. Der Hausmeister nennt sein Gefährt „Bunker-Berta“.
Hellrote Sitzgarnitur
Ein krasser Farbfleck in einer ansonsten meist beige-grauen Unterwelt: Von der roten Sitzgarnitur aus hätte der Bundespräsident im Falle eines dritten Weltkriegs seine Ansprache an das Volk gehalten. Mit viel Ruhe hätte er den Bürgern zusprechen müssen, die Rede war vorbereitet. „Dabei durften die Aschenbecher aber nicht fehlen. In den 60er-Jahren und auch später war ein Nichtraucher-Bunker unvorstellbar”, erklärt Jörg Diester.
Lazarett und Zahnarztstation
Auch für den ärztlichen Notfall hatte die Regierung vorgesorgt – mit vier Krankenhäusern und einer Zahnarztstation. Ursprünglich hatte die Bundeswehr hier ein Feldlazarett installiert, das zur stationären Aufnahmestelle für bis zu zehn Personen umfunktioniert wurde. Ärzte hätten zwischen Medikamentenschränken, Skalpell-Ablagen und Liegestühlen nahezu jede Art von Eingriffen durchführen können.
Schlafzimmer Bundeskanzler
Ein einfaches Metallbett, ein Stuhl und ein Tisch mit Telefon. In einem Raum im Obergeschoss
wäre der Bundeskanzler untergekommen. Viel Komfort gab es für den
Oberbefehlshaber nicht. Der Zweck stand über der Bequemlichkeit. Andere hätten
es noch enger gehabt. Abteilungsleiter mussten sich im Ernstfall das Zimmer
teilen, Mitarbeitende der Ämter hatten Viererzimmer, und Bundeswehrsoldaten
schliefen zu acht im Saal.
Rückbau der Anlage
1997 war Schluss. Der Zweck für einen geheimen Regierungsbunker wurde vom Kabinett Kohl nicht mehr gesehen. Der Aufgabe folgte ab 2001 der Rückbau. Von 17,3 Kilometern bleiben 203 Meter übrig, die heute als Museum zu besichtigen sind. „Einen so radikalen Rückbau eines Regierungsbunkers hat es nirgendwo anders auf der Welt gegeben”, berichtet Jörg Diester. Bald will er die Bunker-Interessierten auch durch die aufgegebenen Teile noch tiefer im Berg führen.
Die nächste Station...
... der Eifel-Bunker-Tour liegt eine Busstunde entfernt. In Kall-Urft. Die Eindrücke des „Bundesbunkers” sitzen noch tief: Gigantische Ausmaße für den schlimmsten denkbaren Kriegsfall. Nun steht die Reisegruppe vor einer Fertiggarage. Sind wir hier wirklich richtig? Hinter dem Schwingtor der Garage verbirgt sich der Hauptzugang zum Ausweichsitz der NRW-Landesregierung. Ein eindeutig kleineres Bunkerexemplar für 200 statt 3000 Personen.
Registrationsstand
Der Bunker wurde 1965
fertiggestellt und musste fast 30 Jahre unter strengster Geheimhaltung einsatzbereit gehalten werden. Seit 1993 ist er im Besitz der Familie Röhling, die ihn 2009 als
Dokumentationsstätte für Gäste zugänglich gemacht hat.
Heute wie damals passieren Besucher*innen zuerst die Dekontamination, dann einen Registrationsstand. Hier
säße im Ernstfall ein Polizist und öffnete die tonnenschweren Türen für die
Bewohner auf Zeit.
Den Ernstfall spielen
Die Reisegruppe findet sich mitten in einem Einsatzszenario wieder. Es gilt den Bunkeralltag bei einem atomaren Angriff
durchzuspielen. Alle Apparate sind funktionsfähig, von der hydraulischen
Türsteuerung bis zum Fernmelder.
Eigentümer Dr. Claus Röhling geht eins von neun
Katastrophen-Szenarien anhand einer NRW-Karte und eines WaDuForm-Blattes
(Warnstellendurchsage in festgelegter Form) durch: Ein Kernwaffenbeschuss und
der Fall-out der atomaren Wolke über Düsseldorf stehen bevor. „Wen können wir
von hier aus retten?” Wo sind die Fluchtkorridore, wie viele Menschen kämen raus aus dem Ballungsgebiet, wie lange dauerte das? Alle Szenarien hätten ein Ergebnis, so Röhling und stellt
eindringlich fest: „Niemand würde das überleben. Der Atomkrieg wäre unser aller
Tod."
Informationen zur Bevölkerungsdichte
Die Landkarten waren einst ein wichtiges Gut für die Entscheidungsträger im Bunker. Einige von ihnen bergen entscheidende Informationen zur Bevölkerungsdichte in den größten Städten des Landes. Welche das sind, zeigt Claus Röhling seinem neu gegründeten "Krisenstab".
Lautsprecheranlage
Die Technik funktioniert noch immer einwandfrei. Zum Beispiel die Lautsprecheranlage: Eine Mitreisende wird gebeten, eine Ansage über das Mikrofon im Führungsreferat zu machen. Laut schallt es aus insgesamt 105 Boxen, die in jedem Raum des Bunkers verteilt sind. Der Ernstfall scheint unerwartet nahe. Gänsehaut ist unser ständiger Begleiter –nicht nur wegen der erstaunlich niedrigen Temperaturen im Bunker.
Fernmelderaum
Die Anspannung lässt nur allmählich nach. Kleine Anekdoten und die Möglichkeit, die historischen Gerätschaften
persönlich zu testen, lockern die Atmosphäre spürbar auf. Ein „Mitarbeiter“
darf etwa eine vorbereitete Nachricht auf einem Fernschreiber im Fernmelderaum
abtippen. Es rattert, tickert und knackt. Kurz darauf hält er einen
Lochstreifen mit codierten Informationen in den Händen.
Bei einer Zwangslage hätten hier über zehn Fachkräfte gleichzeitig in die
Tasten gehauen, um Mitteilungen in Sekunden zu verbreiten.
Siemens-Telefon
Schnelle Kommunikation
geht auch anders: Das Telefon war immer griffbereit. Im NRW-Landesbunker nutzte
das Personal ein frühes Siemens-Modell. Die Nummernwahl erfolgte über ein
Tastenfeld, das linear runtergezogen werden musste. Ein sogenannter Trommelwähler. „Drrrrrt… Drrrrrt…“
Das Geräusch ist eingängig. Das Design konnte sich "draußen" aber nicht
durchsetzen. Die deutsche Bevölkerung entschied sich bis in die 1980er-Jahre für
die Wählscheibe und die kreisende Bewegung. Das Bunkerexemplar bleibt ein bestens konservierter Prototyp.
Tonstudio
Übertragbare Ansagen für
das Radio? Französische Chansons in der Unterwelt? Das Tonband mit Édith Piaf
dreht im Tonstudio des Westdeutschen Rundfunks (WDR) seine Runden. Ministerpräsident Johannes Rau hätte vor den beiden Mikrofonen gesessen und sein Land beruhigen sollen.
Die Präsentation des größten erhaltenen Schmuckstücks der Anlage hat sich Claus
Röhling für den Schluss des Rundgangs aufgehoben. „Alles Röhrentechnik“,
erklärt der Bunkereigentümer, „so gebaut, dass Elemente einzeln ausgetauscht
werden können. HiFi-Sammler würden ein Vermögen dafür zahlen“. Der Bunker: Schutz- und Schatzkammer zugleich.
Ausweichsitz der LZB
Der Bunkerblues
verstummt. Die Gruppe setzt sich erneut in Bewegung. 30 Minuten Fahrtzeit vergehen.
Plötzlich findet sich das Erkundungsteam auf dem Schulhof der Freien Veytalschule Satzvey in Mechernich wieder. Zwischen Rutsche, Klettergerüst und
Basketballfeld soll also die dritte Etappe des Tages starten? Die
nordrhein-westfälische Landeszentralbank hat ihren Standort des Ausweichsitzes gut verborgen, unter dem Schulhof.
Geheimhaltung: oberste Priorität! Das bestätigt auch Expeditionsleiterin Mona
Dürr. Durch die geöffnete blaue Tür geht es hinab.
Durch die Sicherheitstüre
Dem Einstieg folgt das Bunker-Tor, hier mit einer Verschlusszeit von zehn Sekunden. „Gab es früher noch andere Wege rein und raus?“, fragt eine Besucherin, die die hydraulischen Verbindungskabel inspiziert. Dürr: „Eine als Brunnen gekennzeichnete Fläche verbirgt den Notausstieg mit Leiter und Öffnungsklappe. Darüber liegt heute ein dekoratives Kaminhäuschen.“
Grundriss
Der Grundriss zeigt alle 70 Räume der zwischen 1965 bis 1969 errichteten Anlage unter dem Schulhof: Von hier aus hätten die Landesbanker im
Katastrophenfall die Geldversorgung Nordrhein-Westfalens sichergestellt und so Geldflüsse etwa für Nahrung und Verteidigung geplant. Heute unvorstellbar!
Sicher wäre der Geheimbau bereits vorher aufgeflogen, hätte die
LZB den Bau nicht gleichzeitig mit der damaligen „Mittelpunktschule“ errichten lassen. Die Gedanken schweifen in die Vergangenheit, während
die Füße sich weiter Schritt für Schritt in die Dunkelheit wagen.
Betten und Vandalismus
Die Architekten
haben zwischen Wohnen und Arbeiten unterschieden. Die Betten für die
Bankangestellten waren neben Aufenthaltsräumen im ersten Untergeschoss
untergebracht, während im zweiten die Büro- und Kommunikationsräume
lagen.
Nach der Aufgabe des Bunkers 1990 hat etwa 20 Jahre knöcheltief Wasser in den Räumen gestanden. »Zeitweise haben hier sogar Bunkerpartys der Schüler
stattgefunden, sie hatten dem
Hausmeister den Schlüssel geklaut", erklärt Dürr. Die Schäden aus diesen Zeiten sind heute
noch zu sehen.
Technikzentrale
Sie sei bei den Partys nicht dabei gewesen, beteuert die Satzveyerin Dürr, die selbst früher über dem Bunker zur Schule
ging. Sie lenkt den Blick in der Technikleitstelle auf die intakte
Telefonanlage, den streng geheimen „Heißen Draht“ zur NATO und eine Übersicht mit den „Fernsprechverbindungen
im Bereich der zivilen Verteidigung“.
Die LZB soll auf eine solch leistungsstarke Telefonanlage bestanden haben. Die Folge: Der kleine Mechernicher Vorort Satzvey bekam plötzlich eine eigene Vorwahl (02256). Für einen Paar-Hundert-Einwohner-Ort äußerst ungewöhnlich und für die Bewohner lange unerklärlich.
Bunkerwächter
Und wer hat das ganze
System überwacht? Eine Geschichte über den Bunkerwächter der LZB sorgt in der
ehemaligen Küche für offene Münder. Neben Konserven und Kochanleitungen geht es um die jahrzehntelange Verschleierung,
die höchste Geheimhaltungsstufe und beurkundete Schweigepflichten. Was uns im Kopf herumgeistert: "Hat das Dorf wirklich nichts geahnt von den streng geheimen Vorgängen?"
Tresortüre
Ein Krimi garniert die Geschichte: Was verbirgt sich hinter der
verschlossenen Tresortür? Sie gab dem Team der Bunker-Dokumentationsstätten
jahrelang Rätsel auf. Im Bundesbank-Bunker in Cochem war während des Kalten Krieges eine Ersatzwährung gelagert (Pssst: noch heute streng geheim!). Liegen womöglich auch in Satzvey heute noch säckeweise Scheine im Tresor?
Jörg Diester bat ein Fernsehteam um Hilfe. Es besorgte filmgerecht einen professionellen Tresorknacker, der schweißte, bohrte und hebelte. Aber der Tresorraum war leer. Heute zieren einige Bilder der Notfallwährung „Bundesbank
Kassennote 2“ (BBK2) die Wände – das Ersatzgeld für den Fall einer Kriegsinflation.
Niemand hat etwas gewusst
Warum bloß Satzvey? Die Vermutungen, warum gerade hier in der Voreifel der LZB-Bunker entstand, sind vielfältig. Fest steht: Geheim blieb er über Jahrzehnte. Selbst in den Stasi-Akten sei der Bunker in Satzvey nicht erwähnt worden, weiß Jörg Diester. Obwohl die Staatssicherheit der DDR über die West-Bunker immer bestens informiert gewesen sei.
Satzvey blieb ein idealer Geheimhaltungsort. So geheim,
dass selbst Schulangestellte nichts von dem wussten, was unter ihren
Füßen lag…
Wieder an der Oberfläche
Wieder an der Oberfläche
ist es Zeit, das Erlebte Revue passieren zu lassen. Die Eifel-Bunker-Tour schafft
es gekonnt, die Ängste der Menschen einer vergangenen Ära sichtbar zu
machen – ihre Hoffnungen in Schutzbauten anhand der Originalschauplätze
zu visualisieren. Gerade heute scheinen solche Ängste angesichts des Ukraine-Konflikts wieder gegenwärtig. Die Schreckensszenarien sind für viele
greifbar.
Jörg Diester: „Die Wahrnehmung hat sich verändert. Das spüren wir ganz deutlich.
Früher ging es um den Kalten Krieg. Geschichtliches. Jetzt hören die Menschen
nach, wie viele aktive Atomschutzbunker es noch gibt. Das Interesse am Thema ist
gewachsen. Auch bei ausländischen Gästen.“
Das Kleingedruckte
Das Netzwerk der Bunker-Dokumentationsstätten
bietet die Eifel-Bunker-Tour viermal im Jahr im Herbst an. Interessierte können
sich auf der Homepage
des Veranstalters einen Platz reservieren.
Das Kleingedruckte
Eine Produktion des Tourismus NRW im September 2022 für Kulturkenner.de
Einen besonderen Dank an die Gästeführer Jörg Diester und Harald Röhling sowie die
Gästeführerin Mona Dürr
Konzept & Texte: Jens Nieweg, Maximilian Hulisz
Fotos & Videos: Jens Nieweg, Maximilian Hulisz