Alle zehn Jahre rückt Münster vom Rand ins Rampenlicht der Kunstwelt. Jetzt ist es wieder soweit – mit der fünften Ausgabe der Skulptur Projekte.
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Im Wasser, unter der Erde auf den Bäumen... Skulptur Projekte überall.
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35 Kunstwerke sind zu erleben.
Über die Stadt verteilt.
An über 100 Tagen.
Rund 650.000 Besucher werden kommen – so die Schätzungen.
Was erwartet sie in Münster?
Kulturkenner hat sich umgehört und umgeschaut in der Stadt.
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Da parkt er unverschämt auf dem Bürgersteig, verstellt noch dazu Weg und Blick zum Museum. Ein Kunsttransport vielleicht? Hat der LKW Ausstellungsstücke gebracht, oder holt er welche ab? Das wäre wohl zu einfach. Das Gefährt ist eines von gut 30 Skulptur Projekten und wird einen ganzen Sommer lang im Halteverbot stehen bleiben. Ausgedacht hat sich diese Ordnungswidrigkeit die Kölner Künstlerin Cosima von Bonin zusammen mit dem US-Kollegen Tom Burr.
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Tom Burr ...
über die schwarze Kiste auf dem Tieflader.
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Nicht zuletzt geht es den Künstlern um das Hin und Her im globalen Ausstellungsbetrieb. Was die übrigen Projekte jetzt in Münster angeht: Die wenigsten wären geeignet für den herkömmlichen Transport in der Box auf dem Laster.
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Kasper König hat die Skulptur Projekte Münster vor 40 Jahren mitbegründet. Seither sorgt er alle zehn Jahre im Team mit wechselnden Kuratoren für ihren Erfolg.
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Als „Tiefenbohrung“ beschreibt König sein Unternehmen in Münster. Gemeinsam mit den Ausstellungsmacherinnen Britta Peters und Marianne Wagner stößt er 2017 im weiten Feld aktueller Kunstpraxis erwartungsgemäß auf allerhand temporäre, performative, partizipative Positionen. Projekte für den Ort und auf Zeit. Arbeiten, die sich wandeln und den Betrachter einbeziehen.
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Man muss sich also nicht wundern, wenn einem diesen Sommer in Münster Menschen begegnen, die mit vollem Körpereinsatz selbst kreierte Skulpturen vorführen – erarbeitet unter Anleitung von Xavier Le Roy und Scarlet Yu. Oder wenn in der Kneipe statt Pils und Kölsch ein Bier namens „quiet storm“ ausgeschenkt wird. Das Skulptur Projekt von Emeka Ogboh ist mit Lindenblütenhonig versetzt und wurde während des Fermentierungsprozesses beschallt von Sounds aus der nigerianischen Megastadt Lagos.
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Nicht weit vom Museum, aber weit entfernt von der traditionellen Skulptur auf dem Sockel bewegt sich auch Koki Takana mit seiner Arbeit. Vor ein paar Jahren vertrat der Japaner (Jg. 1975) sein Heimatland bei der Biennale in Venedig. Auch in großen Museen war er schon zu Gast. Immer wieder ging Takana in seinen Arbeiten und Ausstellungen soziale Prozesse an. So auch, als er neun Friseure auf eine einzige Kundin ansetzte.
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Für seinen Auftritt jetzt bei den Skulptur Projekten hat Takana acht Münsteraner unterschiedlicher Herkunft in einem ehemaligen Atombunker zusammengetrommelt. Dort ließ er sie in diversen Workshops miteinander agieren und diskutieren über Fragen des Zusammenlebens. Diverse Videos dokumentieren nun das Miteinander.
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Video
Koki Takana ...
über seine Arbeit für Münster
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Verlässt man den Hotspot rund um das Museum, so bietet sich das Fahrrad an. Ein gutes Orientierungsvermögen ist von Nutzen, denn viele der Werke wollen gesucht werden.
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Den stillgelegten Überwasserfriedhof hat Hervé Youmbi sich ausgeguckt und bunte Masken hoch oben in die Bäume gehängt. Eigens angefertigt in Werkstätten in Kamerun, zitieren sie einen amerikanischen Horrorfilm und alte Totenkulte aus Afrika. Auf der christlichen Begräbnisstätte bieten sie reichlich Anlass über mögliche Berührungspunkte von Pop-Kultur, Religion und Aberglaube nachzudenken.
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Ganz nah liegt die Westdeutsche Landesbausparkasse - Hito Steyerl hat ins Foyer eine Videoinstallation gepflanzt, die sich nahtlos ins modernistische Ambiente fügt. Protagonisten der Filme sind Roboter. Ein mulmiges Gefühl stellt sich ein, wenn man zusieht, wie sie getreten, geschubst oder mit dicken Brocken beworfen und irgendwann zu Fall gebracht werden. Interessant zu wissen, dass das Filmmaterial aus einem Labor stammt und wissenschaftliche Untersuchungen zum Balanceverhalten der menschengleichen Maschinen dokumentiert.
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Kaum zu übersehen ist Nicole Eisenmans leicht entgleiste Gesellschaft im Park am Buddenturm. Auf der Wiese lungern sie um einen Pool herum: schwerfällig, die Dose Bier in der Hand. Drei der fünf überdimensionierten Typen sind aus Gips, der schon im Juni erste Auflösungserscheinungen zeigt. Zwei wurden in Bronze gegossen, scheinen sich aber geradezu aufzulehnen gegen die Erhabenheit, die man einem klassischen Denkmal dieser Machart für gewöhnlich zuschreibt. Spannend scheint, wie Eisenman mit ihrer bizarren Inszenierung auf den Ort reagiert – die alltägliche Park-Situation vielleicht sogar karikiert.
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Stefan Trosdorf, Architekt und technischer Leiter der Skulptur Projekte ...
über den Reiz solcher Arbeiten.
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Keiner wohl hat sich eingehender mit dem Schauplatz Münster beschäftigt als Christian Odzuck. Über viele Monate war der Künstler unterwegs in der Stadt. Seine Wahl fiel schließlich auf diesen Ort für sein Projekt: Hier streckte sich vor kurzem noch ein 150 Meter langer Gebäuderiegel aus – die Oberfinanzdirektion. Bei seinen Stadterkundungen sei ihm der 60er-Jahre-Bau sofort aufgefallen, so Odzuck.
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Als Odzuck vom geplanten Abriss des Gebäudes erfuhr, wurde die Sache erst recht spannend für den Künstler. Studiert hat er an der Düsseldorfer Akademie als Meisterschüler von Rita McBride. Immer wieder spürt der 38-Jährige in seiner Kunst Veränderungen nach, lenkt den Blick auf Prozesse in der Stadt. Irgendwo im öffentlichen Raum – zwischen Skulptur und Architektur, zwischen Gegenwart und Geschichte – sind Odzucks künstlerische Interessen angesiedelt.
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Odzuck hat auf die Brache in Münster eine begehbare Skulptur gebaut, die Elemente der ursprünglichen Eingangsarchitektur der Oberfinanzdirektion aufgreift und verwandelt. Ein Pylon gehört dazu und eine umlaufende Treppe, außerdem eine erhöhte Plattform und darauf eine alte Straßenlaterne.
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Leicht übersieht man den baulichen Aufwand, der hinter einigen der Skulptur Projekte steckt. Der Technische Leiter, Stefan Trosdorf, war über Monate mit zwei Mitarbeiten ständig vor Ort.
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Arbeiten wie jene von Eisenman oder Odzuck beginnen mit Zeichnungen und Gesprächen. Die Künstler legen dar, wie sie sich die bauliche Struktur vorstellen, welche Materialien sie verwenden möchten. Der Architekt zeichnet dann Ausführungspläne, um die Absprachen mit dem Künstler zu konkretisieren, um Kosten zu kalkulieren und mit dem kuratorischen Team die Machbarkeit zu klären. Dann erfolgen die Ausschreibungen, und Aufträge werden vergeben.
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Der Ort und die Zeit sind auch entscheidend für Ayşe Erkmen und ihre Kunst, die fast immer für den einen Schauplatz gemacht und so gut wie nie auf Dauer gedacht ist. In Münster hat die Künstlerin aus Istanbul (Jg. 1949) einen Unterwasser-Steg bauen lassen, auf dem der Besucher nassen Fußes das Hafenbecken queren kann. Die Bilder der wundersamen Wasserwanderungen im Hafen haben gewiss das Zeug, zum Markenzeichen dieser Skulptur Projekte zu werden.
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Audio
Ayşe Erkmen ...
über die Bedeutung von Wasser für ihre Arbeit.
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Ayşe Erkmen über ...
über den Schauplatz ihrer künstlerischen Interventionen.
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Für den Weg über den Steg empfiehlt Erkmen nackte Füße oder Flipflops – Schuhe könnten leiden. Denn die magische Brücke liegt kaum sichtbar unter der Wasser-Oberfläche. Es soll so scheinen, als ob man übers Wasser liefe. Religiöse Vorbilder, so betont die Künstlerin, hätten ihr bei dieser wundersamen Inszenierung keineswegs vorgeschwebt.
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Mit dem Ende der Skulptur Projekte am 1. Oktober soll der Spuk im Hafen vorbei sein. Das Kunstwerk wird verschwinden. Wie es Programm ist bei Erkmen: Ihre Arbeiten sind fast immer für den einen Ort gemacht und so gut wie nie auf Dauer angelegt. Sie lassen sich nicht verpflanzen oder konservieren. Man trägt sie nicht nach Hause, und auch im Museum finden sie schwer einen festen Platz. Vielmehr tauchen sie auf, mal hier, mal dort, und gehen dann auf Nimmerwiedersehen.
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Selbst wenn die Puste knapp wird, sollte man sich überwinden und noch
stadtauswärts strampeln auf der Steinfurterstraße. Ziel: Die alte
Eissporthalle.
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Pierre Huyghe hat die Halle in eine unheimliche Grubenlandschaft verwandelt.
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Der Beton-Boden ist aufgerissen, in Pfützen dümpeln Schnecken, zwei Lehmkegel sind von Bienenvölkern bewohnt, auf den Tribünen sitzt ein Pfauenpaar. Hier und da öffnet sich das Dach. Und wo Licht einfällt, breitet sich zartes Grün auf den Erdhügeln aus. Trampelpfade führen auf und ab durch jenen technisch-biologischen Mikrokosmos, der immer wieder von einem unbestimmten Dröhnen durchströmt wird. Hinter all dem steckt ein komplexes System: So werden etwa Bewegungen im Raum an einen Inkubator mit menschlichen Krebszellen weitergeleitet, die darauf reagieren und sich unterschiedlich teilen. Dadurch entstehen wieder Daten, die an ein vielfältig belebtes Aquarium gehen...
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All diese Hintergründe muss man aber nicht unbedingt kennen, um sich von der eigenartigen Atmosphäre einnehmen zu lassen. Nichts scheint vorhersehbar in dieser Welt für sich.
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Vom reich herausgeputzten Münster führt die Tour ins eher heruntergekommene Marl. Die Skulptur Projekte kooperieren 2017 zum ersten Mal mit der Ruhrgebietsstadt, die ihre besten Jahre in den 60ern weit hinter sich gelassen hat.
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Kern der Kooperation ist der beiderseitige „Skulpturentausch“. So wurde etwa Ludger Gerdes’ gelbes Neon-Stück „Angst“ von der Rathauswand in Marl abmontiert und wanderte nach Münster an den Ägidiimarkt. Im Gegenzug ist unter anderem Richard Artschwagers „Fahrradständermonument“ nach Marl gekommen. Dreieinhalb Meter hoch baut es sich nun direkt hinter dem Rathaus auf und wird am neuen Ort wahrscheinlich eine ganz eigene Wirkung entfaltet.
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Was läuft sonst noch ab im „Hot Wire“, im „Heißen Draht“, der die beiden Partnerstädte den Sommer über verbindet? Zwei Ausstellungen stehen in Marl auf dem Programm. Und jedes Wochenende eine Performance für Pferdefreunde. Reiner Ruthenbeck hatte sie im Rahmen der Skulptur Projekte 1997 auf dem Promenadenring in Münster uraufgeführt. Bei der Marler Neuauflage reiten Schimmel und Rappe in entgegengesetzter Richtung um City-See und Rathaus.
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Im Oktober ist der Skulpturen-Spuk vorbei: Die „Angst“ wird zurückkehren nach Marl, der Benz von Bonin und Burr wird das Halteverbot verlassen, und Erkmens Wasserweg wird dicht machen. Wer jedoch etwas Bleibendes mitnehmen will aus Münster, findet es im Tätowierstudio, das Michael Smith am Hansaring eingerichtet hat. Die Arbeiten des US-Künstlers (Jg. 1951) drehen sich immer wieder um Alter, Jugendkult, Trends und Rollenbilder. Dazu passt sein Angebot in Münster, das sich zuerst an die Generation 65+ richtet – Seniorenberatung und -rabatt inklusive. Der Bilderpool hat echte Souvenir-Qualität: Die Motive wurden eigens von Künstlern der Skulptur Projekte entworfen.
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Deborah Thielert, Tatooshop-Mitarbeiterin, ...
über die Sondermotive dieses Sommers.
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Text & Konzept: Stefanie Stadel
Fotos & Videos: Markus J. Feger
Außer:
Aram Bartholl, 3V, © Skulptur Projekte 2017, Foto: Henning Rogge; Kasper König. Foto: Arne Wesenberg; Xavier Le Roy with Scarlet Yu: Still Untitled. © Skulptur Projekte 2017. Foto: Henning Rogge;
Christian Odzuck: OFF OFD. © Skulptur Projekte 2017. Foto: Henning Rogge; Ayşe Erkmen: On Water. © Skulptur Projekte 2017. Foto: Henning Rogge; Marler Rathaus mit Ludger Gerdes: Angst, 1987. © Skulpturenmuseum Glaskasten Marl; Richard Artschwager: Ohne Titel (Fahrradständermonument B), Skulptur Projekte in Münster 1987, Skulpturenrausch 2017, Marl. © Foto: Thorsten Arendt;
Reiner Ruthebeck: Begegnung Schwarz/Weiß, Aktion, 2017, Marl. © Foto: Thorsten Arendt.
Redaktion: Andrej Klahn
Eine Produktion des K.WEST Verlag für www.kulturkenner.de.
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