Zu Gast bei Ben J. Riepe
Choreografieren heißt, Raum und Zeit zu strukturieren.
Ben J. Riepe ...
wurde 1979 geboren. Schon seine Urgroßmutter tanzte für den Musikpädagogen Émile Jaques-Dalcroze, der die Rhythmische Gymnastik zur Erziehungskunst perfektionierte. Der Tanz wurde Riepe zwar nicht in die Wiege gelegt, aber ganz abwegig war es nicht, dass er irgendwann den Weg auf die Bühne finden würde – oder ans Regiepult.
Der Anfang
Das Theater faszinierte Riepe schon in der Grundschulzeit. Nicht nur die Dramen, die auf der Bühne zu sehen waren, wenn sich der Vorhang hob, sondern das Schauspielhaus als Erfahrungsraum: die Luft, das Licht, überhaupt die Stimmung.
Später, als er auf der Suche nach einer eigenen künstlerischen Form ist, wendet er sich vom Sprechtheter ab – zu viel Geschrei, zu viel aufgeregte Fuchtelei, zu viel Expression.
Klar aber ist: Kunst machen ist das Ziel. Nicht als Job, sondern als Lebensform.
Auf der Bühne stehen?
Eher nicht. Als Ben J. Riepe sich an der berühmten Fokwang Universität für das Tanzstudium einschreibt, weiß er schon, was er auf keinen Fall werden möchte: Tänzer. Denn er mag sich nicht den Blicken der Zuschauer aussetzen. Doch bevor er sich entscheidet, die Seiten zu wecheln und selbst zu choreografieren, arbeitet er für VA Wölfs NEUER TANZ – und für Pina Bauschs Tanztheater Wuppertal.
Tanzgeschichte aufführen?
Ben J. Riepe ...
über seine Rolle in Pina Bauschs "Sacre".
Mit dem Wuppertaler Tanztheater erarbeitet Ben J. Riepe noch während der Studienzeit "Le sacre du printemps". Da zählte Pina Bauschs 1975 uraufgeführte Bearbeitung des "Frühlingsopfer" längst zu den wegweisenden Choreografien des 20. Jahrhunderts. Eine prägende Erfahrung, sagt Riepe. Aber ...
Unterwegs sein
Seit 2006 ist Riepe als freischaffender Choreograf unterwegs. Schnell werden große Häuser auf seine Arbeit aufmerksam. Seine ersten aufwendigen Produktionen bringt er am Tanzhaus NRW in Düsseldorf heraus. Pact Zollverein zeigt seine Choreografien. Mit seiner Kompanie tritt Riepe in Kanada, Indien, Bangladesch, Russland, Polen oder Malaysia auf, um nur ein paar der Stationen zu nennen. In Brasilien war er zwei Monate lang als Residenz-Künstler tätig.
Reisen ist wichtig für Riepe.
Zuhause
Ben J. Riepe lebt und arbeitet in Düsseldorf. In einem unscheinbaren Hinterhof findet sich sein geräumiges Atelier, in dem er seine Choreografien erarbeitet. Die Requisiten türmen sich bis unter die Decke. Affenmasken, Spielzeugpistolen, Trommeln, eine Trockeneismaschine. Leer geräumt ist hingegen die Bühne. Ein großer "white cube" – wie in einer Galerie.
Typen mit Geduld
An der Entstehung eines Riepe-Stücks sind Sound- und Lichtdesigner,
Gesangtstrainer, Kostüm- und Bühnenbildner, Dramaturgen und
manchmal auch Komponisten beteiligt.
Ach ja: auch Tänzerinnen und
Tänzer. Viele von ihnen haben an der Folkwang Universität studiert. Das prägt und schafft Verbundenheit über unterschiedliche Jahrgänge hinweg.
Wer zu ihm komme, um zu tanzen, der werde nicht glücklich
werden, sagt Riepe. Typen suche er für seine Choreografien. Technik sei nicht ganz so
wichtig.
Zwischen den Künsten
Wenn von Riepes Arbeit die Rede ist, dann wird gerne die Nähe zur bildenden Kunst betont. Er ist ein Grenzgänger zwischen den Genres. Da ist es nur konsequent, dass er irgendwann anfängt, auch museale Räume zu inszenieren. Körper sind sein Material. Mit ihnen komponiert er atmosphärische, eindrückliche lebende Bildern – auf Bühnen und in Ausstellungshallen. Oder – wie in seinem mit dem Jurypreis des Festivals "Favoriten" ausgezeichneten Arrangement "Livebox: Persona" – auch schon mal hinter Plexiglas in eigens gefertigten, drei mal drei Meter großen weißen Würfeln.
Entblößen und Verhüllen
Riepe lässt seine Tänzerinnen und Tänzer mal vollständig entblößt, dann
wieder komplett verhüllt im floral gemusterten oder grob karierten
Ganzkörperkostüm auftreten. Der Karneval interessiert ihn, die verordnete Anarchie, die ganz unterschiedlich zu Tage treten kann: als rauschhafte Nacktheit in Brasilien oder als hochgeschlossener Maskenball in Venedig. Wenn Anklänge davon in Ben J. Riepes Choreografien wiederzufinden sind, dann auf eine entschleunigte, formstrenge Weise.
Atmosphären inszenieren
Geschichten will Ben J. Riepe nicht auf der Bühne erzählen. Er choreografiert Stimmungen und verzichtet bewusst auf zeitkritische Oberflächenreize. Seine surrealen Assoziationsräume sehen auf den ersten Blick kühl und artifiziell aus. Zugleich wirken die Landschaften seines visuellen Paralleluniversums lange nach.
Der ein oder andere Betrachter mag sich im ersten Moment herausgefordert, ja: provoziert fühlen. Die Bilder, die er gesehen hat, bekommt er dann aber nicht mehr aus dem Kopf.
Das Kleingedruckte
Fotografie und Video: Markus J. Feger
Text und Redaktion: Andrej Klahn
Eine Produktion des K.WEST Verlag für www.kulturkenner.de