Stiftung Insel Hombroich Unterwegs im Experimentierfeld
Im Niemandsland
Wenn du denkst, du hast dich verfahren, dann bist du genau richtig: Im Niemandsland südlich von Neuss, umgeben von stoppeligen Äckern und hoch aufragenden Windkrafträdern, liegt der Kulturraum Hombroich.
Ein Areal, wo Kunst, Natur und Architektur auf wunderbare Weise zusammenkommen. Ein Ort, wo Künstlerinnnen und Künstler leben und arbeiten – und ein außergewöhnliches Ausflugsziel, egal zu welcher Jahreszeit.
Inhalt
Ein offener Versuch
Herzstück des Kulturraums Hombroich ist die „Insel“, ein 21 Hektar großes Areal. Der Immobilienmakler und Kunstenthusiast Karl-Heinrich Müller hat es 1982 erworben und dann Stück um Stück erweitert
Seine Idee?
Einen vielfältigen Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen zu schaffen, in dem Müller seine Kunstsammlung zugänglich machen wollte. Ein „offener Versuch“ sollte Hombroich sein. Bei der Realisierung dieses Vorhabens arbeitete Müller von Anfang an mit den bildenden Künstlern Gotthard Graubner und Erwin Heerich sowie mit dem Landschaftsarchitekten Bernhard Korte zusammen. Sie alle haben die Gestaltung und die Entwicklung der Insel maßgeblich geprägt.
Der Anfang
Das Museum Insel Hombroich sieht heute aus, als folge die Gestaltung allein dem Plan der Natur. Urwüchsig und wuchernd. Begonnen hat es mit einem alten, aufgegebenen Park samt exotischer Pflanzensammlung. Dessen Geschichte reicht bis an den Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Dieser historische Teil der Insel wurde dann durch Zukäufe von Ackerland erweitert, das der Landschaftsarchitekt Bernhard Korte als idealisierte, offene Auenlandschaft gestaltet hat.
Wachsen lassen?
Seit 2001 ist der Landschaftsarchitekt Burkhard Damm für das Areal verantwortlich. Als er mit seiner Arbeit begann, war der Artenreichtum meterhohen Brennnesseln gewichen. Jahrelang hatten die Verantwortlichen die Natur auf der Insel sich selbst überlassen, in der festen Überzeugung, dass Freiraum zu Vielfalt führt. Wachsen lassen, so lautete die Maxime. Das Ergebnis: Monotonie. Also begann Burkhard Damm damit, den Wildwuchs zu stutzen.
Natur an der Leine
Auf der Insel wird im Extremfall auch mal durch bewusstes Unterlassen gegärtnert. Aber selbst das ist dann ein aktives Tun, eine bewusste Entscheidung. Für Damm ist Landschaftsgestaltung eine Frage der Leinenlänge. Mal ist sie kurz, häufiger sehr lang. Aber geführt wird die Natur auf der Insel immer.
Der alte Park
Märchenhaft verwunschen schaut vor allem der historische Park der Insel aus. Dort, wo eine 200 Jahre alte Sumpfzypresse neben Tupelobäumen und der kaukasischen Flügelnüsse am Ufer eines Altarmes der Erft wächst.
Landschaftsmalerei
Herabhängende morsche Äste spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Als hätte der Gärtner selbst Abgestorbenes sorgsam zu einem romantischen Gemälde komponiert.
Begehbare Skulpturen
Zehn sogenannte begehbare Skulpturen hat der Bildhauer Erwin Heerich auf der Insel realisiert, gemauert aus niederländischem Abbruch-Feldbrandstein. Sie dienen dem Museum als Kassenhaus, als Galerie oder als Cafeteria. Einige sind auch leer, wie der Turm, dem Heerich die Form eines riesigen Würfels mit zwei ausgesparten Ecken gegeben hat. Er findet sich am Anfang des Weges durch das Tageslichtmuseum.
Begegnung mit der Sammlung
Vor allem aber dienen Erwins Heerichs begehbare Skulpturen als Ausstellungsräume. Zu sehen sind u.a. Werke von Hans Arp, Gustav Klimt, Alberto Giacometti oder Yves Klein. Sie werden zusammen mit archäologischen Objekten aus Ozeanien, Asien, Afrika und Amerika präsentiert. Ausführliche Informationen zu den Exponaten gibt das Museum Insel Hombroich bewusst nicht. So können die Besucher den Werken unvoreingenommen und unvermittelt begegnen.
Kunst parallel zur Natur
Frank Boehm über des Motto der Insel
Kunst parallel zur Natur. So lautet das Motto des Museum Insel Hombroich in Anlehnung an eine Äußerung Paul Cézannes. Vermutlich hat jeder, der die Insel schon mal besucht hat oder dort arbeitet, eine eigene Interpretation dieses Leitspruches.
Auf dem Weg
Fünfzehn Minuten Fußweg entfernt vom Museum Insel Hombroich liegt die ehamlige NATO-Raketenstation, die Müller 1995 erwarb, um sie zu einem Laboratorium der Künste und des Denkens umzubauen. Der Weg führt vorbei am Kirkeby-Feld, an Thomas Schüttes Ufo-artiger Skulpturenhalle und an der Ausstellungshalle der Langen Foundation, einem glasummantelten Betonriegel, den Tadao Anda für die Kunstsammlung von Marianne und Viktor Langen entworfen hat.
Surrealer Kunstort
Die Raketenstation selbst ist ein surreal andächtiger Kunstort. Neben Hangars und Bunkern sind dort in den 1990er Jahren eine Reihe von Neubauten entstanden, konzipiert von Raimund Abraham, Erwin Heerich, Oliver Kruse, Katsuhito Nishikawa und Álvaro Siza.
Ateliers auf Lebenszeit
Dank der Erweiterung des Kulturraumes Hombroich durch die Raktenstation konnte Karl-Heinrich Müller von ihm ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern Ateliers auf Lebenszeit zusprechen. Ein Recht, das an keinerlei Bedingungen geknüpft wurde. Dabei war es ihm wichtig, unterschiedliche Disziplinen und Ansätze zusammen zu bringen. Erwin Heerich, Gotthard Graubner und der Beuys-Schüler Anatol Herzfeld waren die ersten, die nach Hombroich zogen. Später folgten u.a. der 2005 verstorbene Lyriker Thomas Kling oder der Komponist Christoph Staude.
Was ist das überhaupt: Hombroich?
Die bildende Künstlerin Katharina Hinsberg, Professorin für konzeptuelle Malerei in Saarbrücken, lebt zusammen mit ihrem Mann, dem Lyriker Oswald Egger, seit 2003 auf der Raketenstation. Wo Privates und Öffentliches manchmal ineinanderfließen. So kann es durchaus passieren, dass plötzlich Besucher durch das Fenster ihres Ateliers schauen und all die Fragen stellen, die sich an diesem auf idyllische Weise unwirklichen Ort zwangsläufig ergeben:
Was passiert hier eigentlich?
Und was ist das überhaupt: Hombroich?
Choreografie der Windräder
Der Blick aus dem großzügigen Atelier- und Wohnhaus geht weit über die Raketenstation hinaus. Die Raumhöhe liegt irgendwo zwischen fünf und sechs Metern. Wenn der Wind richtig steht, lässt sich ziemlich viel Zeit darauf verwenden, durch die deckenhohen Fenster der Choreografie der Windräder zuzuschauen.
Zu Gast bei Georg Schmidt
In einem umgebauten Hangar findet sich das Atelier von Georg Schmidt. Der Meisterschüler von Gotthard Graupner arbeitet seit Mitte der 1990er Jahre auf der Raketenstation. Farbgeruch hängt in der Luft. An der Wand hängen großformatige Gemälde. Schmidt weist die Gäste eingangs des Gesprächs darauf hin, dass sich die Farbigkeit der Bilder im Laufe des Gesprächs verändern wird – abhängig vom Lichtwechsel und der Stimmung der Betrachtenden. Und genau das passiert dann auch.
Fließendes Licht
Bevor Schmidt während des Studiums an die Düsseldorfer Kunstakademie wechselte, war er an der Hamburger Kunsthochschule eingeschrieben. Noch heute erinnert er sich an das Licht, das dort durch das große Atelierfenster unter dem Dach in den Raum floss. Beste Bedingungen, dachte er. Doch dann bezog er das Klee-Atelier in Düsseldorf und merkte, dass beste Bedingungen steigerbar sind – und wie grob er bis dato gearbeitet hatte. Im Hangar auf der Raketenstation fand Schmidt dann eine ganz andere Situation vor.
Austausch als geistige Nahrung
Auch wenn Georg Schmidt zunächst eine Trennwand in sein Hangar-Atelier baute, hält er die Begegnung mit den Künstlerinnen und Künstlern, die auf die Raketenstation eingeladen werden, für entscheidend. Dieser Austausch sei ihm eine geistige Nahrung, sagt Schmidt.
Das Kloster
Auch Besucherinnen und Besucher haben die Möglichkeit, ein paar Tage auf der Raketenstation zu verbringen. Dafür stehen 14 Zimmer im Kloster genannten Gästehaus samt Gemeinschaftsküche bereit.
Ruhe als Luxus
Warum sich das von Heerich entworfene Gästehaus Kloster nennt, zeigt sich auch in der zurückhaltenden Möblierung der Zimmer. Sie ist auf das Notwendige reduziert: Bett, Tisch, Stuhl, Schrank. Der Luxus, den diese Unterkunft bietet, heißt: Ruhe.
Wie geht es weiter?
Der Hombroich-Begründer Karl-Heinrich Müller ist 2007 gestorben. Seitdem wurde keiner Künstlerin und keinem Künstler mehr ein Atelier auf Lebenszeit zugesprochen.
Nicht immer nur nach Müller fragen
Katharina Hinsberg über die Möglichkeiten des Areals
Das Kleingedruckte
Fotografie und Video: Markus J. Feger
Konzept und Text: Andrej Klahn
Eine Produktion des K.WEST-Verlag für www.kulturkenner.de